Sanfter Begleiter

Homöopathie in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett

Ihre Arzneien sind so weit verdünnt, dass sie kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr enthalten. Das macht Homöopathie für viele unglaubwürdig. Doch in der Praxis zeigt sie sehr gute Behandlungserfolge. Und gerade bei Schwangerschaft und Geburt leistet sie wertvolle Dienste.

Das Prinzip der klassischen Homöopathie scheint paradox: Sie arbeitet mit Mitteln, die beim Gesunden die Beschwerden auslösen würden, die es beim Patienten zu kurieren gilt. Roger Rissel, Homöopath aus Wiesbaden und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Homöopathie, nennt ein Beispiel: „Der Homöopath verordnet gegen Müdigkeit ein Mittel, das müde macht. Es kann die Müdigkeit zunächst verstärken, hilft aber schließlich dagegen. Kaffee ist dagegen eine klassische Gegenverordnung. Er soll Müdigkeit vertreiben, indem er wach macht. Das tut er auch kurzfristig. Aber hinterher ist man um so müder.“

Bereits vor mehr als 200 Jahren formulierte Samuel Hahnemann, Begründer der klassischen Homöopathie, sein Ähnlichkeitsgesetz „Similia similibus currentur“ – „Ähnliches möge mit Ähnlichem geheilt werden“. Es fußt auf seinem besonderem Verständnis von Krankheit: Hahnemann interpretierte Symptome als Zeichen dafür, dass der Körper sich selbst zu heilen versucht. Wird ihm parallel die gleiche Krankheit künstlich und vorübergehend zugefügt, stimuliert das seine Selbstheilungskräfte. Dabei definierte der deutsche Arzt einen ganzheitlichen Ansatz: Nicht nur die Symptome, sondern der gesamte, individuelle Mensch wird behandelt. „Der Homöopath sieht beispielsweise nicht allein die Angst einer Frau vor der Geburt, sondern ihre generelle Neigung zu Angstgefühlen“, erklärt Rissel.

Gerade in der Schwangerschaft eignet sich Homöopathie überaus gut. Zum einen sind schulmedizinische Arzneien jetzt nicht angezeigt. „Zudem gilt die besondere Situation, zwei Wesen zu sanft zu behandeln“, betont der Wiesbadener Therapeut. Homöopathie kann bei vielen Beschwerden helfen oder auch bei ernsten Problemen ärztliche Maßnahmen flankieren. Ebenfalls kann sie Störungen während der Geburt mildern. „Die Arzneien sollten bei Schwangeren allerdings grundsätzlich eher niedriger dosiert werden. Zudem müssen sie individuell und fachkundig verabreicht werden“, so Rissel. Welchen Nutzen Homöopathie für Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen haben kann, fragten wir die Hebamme Helga Häusler, Mitglied im Bund deutscher Hebammen sowie der Deutschen Gesellschaft für klassische Homöopathie.

Frau Häusler, wie kann Homöopathie einer Schwangeren helfen?

Gut hilft sie zum Beispiel bei Übelkeit und Erbrechen, schwangerschaftsbedingten Wassereinlagerungen oder Gelenkschmerzen, bei Verstopfung, Sodbrennen, Krampfadern, Hämorrhoiden, Ischiasbeschwerden und Muskelkrämpfen. Auch bei vorzeitiger Wehentätigkeit kann sie, je nach Ausprägung, allein oder andere Therapien unterstützend zur Anwendung kommen. Ebenfalls kann Homöopathie positiv auf die Gemütslage wirken.

Homöopathische Arzneien werden allerdings meist sehr individuell und in Hinblick auf bestimmte Symptome verordnet. Eine vorbeugende Einnahme  etwa zur Geburtserleichterung macht daher nicht nur keinen Sinn, sondern kann sogar Störungen verursachen.

In der Regel geht der Behandlung ein ausführliches Gespräch voraus. Wie eignet sich Homöopathie dann bei einer akuten Situation wie einer Geburt?

Tritt während der Geburt eine Störung auf, ist die Symptomatik oft sehr eindrücklich. Die Gebärende  hat  meist deutlich wahrnehmbare  Zeichen wie z.B. auffällige Hautrötungen, sie zittert stark, schwitzt vermehrt oder fröstelt. Manchmal zeigt sie auch eine ausgeprägte Abneigung oder Empfindlichkeit gegen etwas. Eine kundige Hebamme kann dann oft rasch ein Mittel wählen – auch, wenn sie die Schwangere nicht bereits aus der Vorsorge oder dem Geburtsvorbereitungskurs kennt.

Wie hilft sie konkret?

Ein Anwendungsbereich ist: zu schwache, unregelmäßige, zu kurze zu lange oder zu heftige Wehen. Homöopathie kann auch eine Rolle spielen, wenn sich der Muttermund  trotz guter Wehentätigkeit nur zögerlich öffnet. Manchmal hilft sie sogar, ein Kind in die richtige Geburtsposition zu bringen. Auch wenn in der Nachgeburtsphase eine verstärkte Blutung oder eine Plazentalösungsstörung auftritt, kann Homöopathie eine wirksame flankierende Maßnahme sein.

Kann man Wehen homöopathisch einleiten?

Dies ist einer der Fälle, in welchem man wirklich sehr genau die jeweilige Situation berücksichtigen sollte. Es kann sein, dass anhand bestehender individueller Symptome und Umstände eine homöopathische Mittelwahl möglich wird, welche einen Geburtsbeginn begünstigen oder sogar herbeiführen kann. Einer schematischen Anwendung homöopathischer Mittel, wie sie gerade in diesem Bereich immer wieder versucht wird, stehe ich skeptisch gegenüber, da man damit eher eine Arzneimittelprüfung als eine therapeutische Maßnahme durchführt.

Kann Homöopathie auch Geburtsschmerzen lindern?

Ja. Dadurch, dass sie z.B. Verkrampfungen und Ängste lösen hilft, welche einen großen Einfluss auf das Schmerzgeschehen haben. Sie kann auch Blockaden oder Störungen beseitigen und dadurch der Gebärenden wieder Zugang zu Ihren Kräfteressourcen und ihrem Selbstvertrauen verschaffen. Dadurch wird ein neuer Umgang mit dem Schmerzerleben möglich.

Schließlich leistet sie auch gute Dienste im Wochenbett . . .

Hier hilft Homöopathie beispielsweise bei schmerzhaften Nachwehen, einer sich zögerlich zurückbildenden Gebärmutter oder einem Wochenflussstau..Ein sehr bedeutendes Feld sind darüber hinaus Stillprobleme unterschiedlichster Art. Sie kann  einen heftigen Milcheinschuß oder auch, soweit nötig, die Milchmenge regulieren und die Heilung wunder Brustwarzen unterstützen. Nicht zu vergessen natürlich die Möglichkeiten die sie bietet, etwaige Probleme des neugeborenen Kindes auf sanfte Weise zu behandeln.

Werden bestimmte Mittel häufig angewendet?

Es gibt Mittel, die sich in bestimmten Situationen immer wieder bewährt haben. Das sollte jedoch niemanden dazu verleiten, routinemäßig danach zu greifen, ohne die individuelle Situation genau zu betrachten. Eine dieser bewährten Indikationen ist zum Beispiel die Wundheilung nach der Geburt . Arnika leistet hier oft sehr wertvolle Hilfe.

Was kann die werdende Mutter unternehmen, wenn sie homöopathisch betreut werden möchte?

Sie sollte sich im Vorfeld erkundigen, welche Hebammen eine fundierte Homöopathieausbildung absolviert haben und Homöopathie in der Vorsorge, während der Geburt und im Wochenbett anbieten. Gleiches gilt für die Versorgung in der Klinik. Bisher existiert keine einheitliche Zertifizierung. Der Bund Deutscher Hebammen arbeitet aber bereits daran.

Es scheint mir jedoch sehr wichtig in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Homöopathie, ebenso wie die Akupunktur oder andere Verfahren, immer nur eine zusätzliche Option in der Arbeit der Hebamme darstellt. Eine gute, einfühlsame und kompetente Betreuung nach allen Regeln der Hebammenkunst spielt immer die zentrale Rolle und ist durch nichts zu ersetzen. Im besten Falle macht sie jede therapeutische Maßnahme überflüssig.

Wo liegen Grenzen?

Für die Hebamme verläuft eine klare Grenze zwischen Schwangerschaftsbeschwerden welche sie behandeln darf und ernsten krankhaften Störungen, die sie in ärztliche Behandlung überweisen muss. Dies heißt aber nicht,  dass damit auch die Homöopathie an ihre Grenzen stößt. Eine gute homöopathische Behandlung  kann auch dann immer noch begleitend eingesetzt werden und die Ergebnisse deutlich verbessern. Wichtig scheint es mir außerdem die Grenzen einer Selbstmedikation zu erkennen. Nur die sachgerechte Anwendung der Homöopathie, insbesondere die richtige Dosierung der Arzneien, führt zu den gewünschten Erfolgen und kann eine unbeabsichtigte Wirkungen verhindern.

 

Interview: Petra Sperling
In Auszügen veröffentlicht  in der Zeitschrift Kind und Gesundheit 5/2004 Sept./Okt.

© (außer angeführte Zitate) Helga Häusler - www.hhaeusler.de

 

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