Samuel Hahnemann – mehr als Homöopathie  

Der 250. Geburtstag Hahnemanns am 10. April dieses Jahres war Anlass für viele Veröffentlichungen zu seiner Person. Fast immer steht dabei sein Wirken als  Begründer der Homöopathie im Mittelpunkt. Zu Recht natürlich, denn die Etablierung der Homöopathie als Heilsystem gehört mit Sicherheit zu seinen herausragendsten Leistungen. Doch gibt es daneben noch eine Reihe anderer Gebiete, auf denen ihm Bemerkenswertes gelungen ist. Manches davon hat Auswirkungen bis in unsere Zeit.

Es war in gewisser Weise ein glücklicher Umstand, dass der begabte junge Hahnemann sich für sein Studium das Geld selbst verdienen musste. Dank seiner Sprachkenntnisse übersetzte er Werke über Chemie und Medizin ins Deutsche und sorgte so für seinen Lebensunterhalt. Er betreute auch zwei Jahre lang die Bibliothek des Baron Samuel von Brukenthal, Statthalter von Herrmannstadt in Siebenbürgen, bevor er sein Medizinstudium beendete.

Mit 25 Jahren war Hahnemann nicht nur ein approbierter Arzt, sondern auch ein Mann von umfassender Bildung. Neben der Behandlung von Patienten führte er in der Apotheke eines Freundes chemische Studien durch.

Kritik an den Behandlungsmethoden seiner Zeit

Die damals üblichen Methoden der Medizin beschränkten sich meistens auf Aderlässe, Schröpfkuren und die Anwendung von Abführ- und Brechmitteln. Hahnemann erkannte die Unsinnigkeit, ja sogar Gefährlichkeit dieser Maßnahmen in vielen Fällen und kritisierte ihre Anwendung. Er bemängelte das rein spekulative Arzneiwissen der damaligen Zeit, welches den ständig wechselnden Krankheitstheorien und fragwürdigen Therapiekonzepten nach Gutdünken angepasst wurde.  

Hahnemanns Veröffentlichungen lassen immer wieder seine Sorge um das Wohl der Mitmenschen erkennen, und es gibt Hinweise, dass er  zu den Ersten gehörte, welche die Krankheit eines Patienten nicht als isoliertes Problem, sondern als ein in einem soziokulturellen Kontext stehendes wahrgenommen und verstanden wissen wollte.

Empirie und Rationalität und ein klarer Verstand bildeten die Basis für seine Schriften. Dies soll an einigen Beispielen gezeigt werden.

Hahnemanns Weinprobe

Hahnemann publizierte 1788 in Crells Chemischen Annalen, einem bedeutenden Periodikum dieser Zeit: „Über die Weinprobe auf Eisen und Blei“. Damals wurden von den Behörden die Weine mit der „würtemberischen Weinprobe“ daraufhin untersucht, ob ihnen Bleizucker (Blei(II)-acetat) zur Geschmacksverbesserung zugesetzt worden war. [Anmerkung: Blei(II)-acetat, bekannt als Bleizucker, wurde trotz seiner bekannten Giftigkeit bis ins 19. Jahrhundert als Weinverbesserungsmittel verwendet. Die Weine wurden durch den Zusatz süßer und voller im Geschmack.] Da auch Eisen, das durch eiserne Gerätschaften bei der Weinherstellung in den Wein gelangen konnte, eine positive Bleizuckerprobe erzeugte, wurden wiederholt Winzer fälschlicherweise angeklagt und um Ruf und Einkommen gebracht. Hahnemann veröffentlichte deshalb eine Anweisung zu einer durch ihn modifizierten und überprüften Weinprobe, die sicher nur auf Blei reagierte. Später wurde diese Probe von verschiedenen Ländern amtlich eingeführt.

Konservierung mit Silbernitrat

Ebenso berichtete Hahnemann 1788 in den Chemischen Annalen: „Über ein ungemein kräftiges, die Fäulniss hemmendes Mittel“: „Ich mache hier in kurzen Worten die vermuthliche Entdeckung bekannt, daß Silbersalpeter das größte mir bekannte fäulnißwidrige Mittel sey. In sehr kleiner Menge (1 : 500) in Wasser aufgelöst, läst es das Fleisch nie faulen. Beizt man etwas starke Stücken in einer etwas stärkern Auflösung vierzehn Tage lang, so darf man sie denn nur herausnehmen, und ganz an eine Wärme legen, (wo Fleisch sonst in kurzer Zeit fault). Es trocknet nach und nach ein, ohne nur den allergeringsten Geruch anzunehmen. Es wird sehr hart und Würmer berühren es nicht. Ebenso erhält sich Flußwasser in allen Gefäßen in jeder Wärme unversehrt, wenn man einen sehr kleinen Theil (1 : 100000) darin auflöst, und es vor dem Sonnenscheine verwahrt.“

Heute noch finden wir den Einsatz von Silber in der Konservierung von Augentropfen. Als Arzneimittelhersteller konserviert die Firma Weleda ihre Augentropfen mit Silber-Ionen. Mit dem Brittafilter aufbereitetes Trinkwasser wird mit Silber haltbar gemacht.

Hahnemanns Apothekerlexikon

Mit seinem Apothekerlexikon, das Hahnemann in den Jahren 1793-1799 als vierbändiges Werk herausgegeben hatte, erreichte er eine hohe Reputation als Chemiker und Pharmazeut. Rationalität und Empirie sind die Grundlagen dieses Werkes. Hahnemann nimmt in diesem Lexikon eine kritische Sichtung des gesamten pharmazeutischen Wissens vor. Lediglich die „Apothekerzeichen“ (siehe Abb. 1) für die verschiedenen Stoffe und Präparate sind unverändert übernommen und erinnern an die Alchemie vergangener Zeiten.

Gesundheitsratgeber

Neben diesen chemisch-pharmazeutischen Schriften veröffentlichte Hahnemann Ratschläge zur Gesunderhaltung der Menschen in einer eigenen Schriftenreihe mit dem Titel: „Freund der Gesundheit“. Von großer Bedeutung waren darin seine Empfehlungen zur Verhütung der Ausbreitung von epidemischen Krankheiten und Seuchen. Er postulierte bereits damals - weit vor der Entdeckung von Bakterien und Viren -, dass Krankheitsübertragung ihre Ursache in unsichtbaren Kleinstlebewesen hat und kam damit der Idee der Infektion, wie wir sie heute verstehen, bereits sehr nahe.

Heute ist für uns eine Isolierung von infektiösen Patienten eine Selbstverständlichkeit. Für die damalige Zeit war die von Hahnemann dringend geforderte Maßnahme, vor allem die hochinfektiösen Patienten zu isolieren und den Besuch dieser Kranken durch Verwandte zu verbieten ein Novum.

Behandlung von Geisteskrankheiten

Auch setzte er  neue humanitäre Maßstäbe bei der Behandlung psychisch Kranker. So verurteilte er die Gewalt, die gegen Geisteskranke angewendet wurde. „Mann muss über die Hartherzigkeit und Unbesonnenheit der Aerzte in mehreren Krankenanstalten dieser Art erstaunen, [...] begnügen sich diese Grausamen, jene bedauernswürdigsten aller Menschen durch die heftigsten Schläge und andere qualvolle Martern zu peinigen. Sie erniedrigen sich durch dieß gewissenlose und empörende Verfahren tief unter den Stand der Zuchtmeister in Strafanstalten, denn diese vollführen solche Züchtigungen nur nach Pflicht ihres Amtes und an Verbrechern, jene aber scheinen ihre Bosheit gegen die vorausgesetzte Unheilbarkeit der Geistes- und Gemüths-Krankheiten, im demühtigen Gefühle ihrer ärztlichen Nichtigkeit, durch Härte an den bedauernswürdigen, schuldlosen Leidenden selbst auszulassen, da sie zur Hülfe zu unwissend und zu träge zur Annahme eines zweckmäßigen Heilverfahrens sind.“

Da Hahnemann Empiriker war, beließ er es auch hier nicht bei der grauen Theorie, sondern nahm den geisteskranken Kanzleisekretär Friedrich Klockenbring  für mehrere Monate in eine eigens gegründete Einrichtung auf und behandelte ihn entsprechend  seiner Erkenntnisse und Überzeugungen. So nahm er sich immer wieder viel Zeit für lange Gespräche und riet zu ausgleichenden Beschäftigungen. Schon 100 Jahre vor Freud führte er damit eine Art Gesprächstherapie durch. Geradezu revolutionär für seine Zeit, womit sich Hahnemann auch auf diesem Gebiet als Vordenker erwies.

Der  Zustand Klockenbrings  besserte sich unter Hahnemanns Behandlung soweit, dass dieser wieder nach Hause und in ein normales Leben zurückkehren konnte.

Arzneiwirkungen

1796 veröffentlichte Hahnemann in „Hufelands Journal der practischen Arzneikunde“ einen Artikel: „Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen“. Er zeigte darin wie unsicher und irrational die Erkenntnisgewinnung über die Wirkung der damals verwendeten Arzneistoffe war und folgerte: „Es bleibt nichts übrig, als die zu erforschenden Arzneien am menschlichen Köper selbst zu versuchen.“ Dazu dienten einerseits die sicheren Kenntnisse der ungewollten Vergiftungserscheinungen, die Arzneisubstanzen bewirken, und andererseits der Versuch der Arznei am gesunden Menschen in Dosierungen, die Wirkungen hervorrufen, aber nicht schaden.

Hahnemann brachte diese neuen Konzepte und Vorgehensweisen in die Behandlung mit Arzneimitteln ein. Mit der sicheren Kenntnis der Arzneiwirkungen auf den Menschen ist ein wesentliches Fundament der Medizin und nicht nur der Homöopathie geschaffen worden. 

Hahnemann sammelte nun sichere Beobachtungen über die toxischen Wirkungen der Arzneien und ergänzte sie mit der Prüfung derselben Arzneien an sich selbst. Er publizierte diese Ergebnisse und seine Konzeption des homöopathischen Arzneiverordnungsverfahrens.

Seine Kollegen und die Öffentlichkeit nahmen seine Arbeit zunächst mit Respekt zur Kenntnis und diskutierten sie sachlich. Nur die starke Verdünnung der Arzneien war schon damals wie auch heute noch für viele Kritiker ein Stein des Anstoßes und führte zu einer sehr polemischen Auseinandersetzung. Dabei ist die Notwendigkeit von kleinen Gaben der Arzneien genau so auf die Beobachtung von Phänomenen gegründet wie die Wirkungen der Arzneien selbst.

Lehre und Forschung

1812 erlangte Hahnemann die Lehrerlaubnis an der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig mit einer wissenschaftlichen Abhandlung über die Verwendung von Veratrum album (weiße Nießwurz). Mit diesem Arzneimittel wurde Erbrechen herbeigeführt bei den verschiedensten Krankheiten, um den Organismus der Kranken zu „reinigen“. Hahnemann kritisierte dieses Verfahren und sprach deutlich die Forderung aus, die verschiedenen Arzneien mit den ihnen eigenen unterschiedlichen Wirkungen differenziert auf die verschiedenen Krankheiten anzuwenden.

Die Zeit in Leipzig war geprägt von einer zunehmend stark frequentierten homöopathischen Praxis, der homöopathischen Forschung zusammen mit seinen Studenten und wichtigen Publikationen.

Krankenjournale

Das Führen detaillierter Krankenjournale stellt ebenfalls ein Novum für die damalige Zeit dar. Das  Erstellen einer Falldokumentation war bis dahin völlig unüblich. Wenn man dieses jedoch als Vorraussetzung für eine  kritische Überprüfung der eigenen Arbeitsweise begreift, hat Hahnemann hiermit den ersten Grundstein für die heute so viel diskutierte Qualitätssicherung in der Praxis gelegt. Diese Bereitschaft zur Selbstkritik steht in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit, die Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten zu markieren. Dies führt dazu, dass Hahnemann es ablehnt, sich in Spekulationen über "unmögliche Ergrübelungen des Krankheitswesens" zu verlieren. Für ihn zählt einzig und allein das Fassbare und Beschreibbare, die wahrnehmbaren Symptome nämlich, welche in ihrer Totalität die Krankheit selbst sind.

Dies bedeutet einen gewaltigen Schritt der Medizin weg vom Spekulativen hin zum Rationalen.

Homöopathie

Die sich mit Hahnemann beschäftigenden Medizinhistoriker konnten zeigen, dass verschiedene Ärzte zu dieser Zeit die Idee der Arzneiverordnung nach dem Ähnlichkeitsgesetz hatten. Ebenso wurde die Arzneimittelprüfung am Gesunden von ärztlichen Kollegen durchgeführt und aufgeschrieben. Da Hahnemann zu diesen Veröffentlichungen Zugang hatte, stellt sich die Frage, was das eigentliche Verdienst Hahnemanns bezüglich der Homöopathie sei.

Ein in der Praxis der Arzneiverordnung realisierbares Verfahren entwickelt, erprobt und überliefert zu haben ist die besondere Leistung Hahnemanns. Er hat aus der Idee die praktikable Methode gestaltet. Die Homöopathen heute finden seine Beobachtungen vielfältig bestätigt, wenn sie seine Anweisungen genau befolgen.

Chronische Krankheiten

Neben der auf Phänomenen mit Naturgesetzcharakter gegründeten homöopathischen Arzneiverordnungsmethode hat Hahnemann eine Systematik der Krankheiten erstellt. Er unterscheidet grundsätzlich akute und chronische Krankheiten. Sowohl die akuten als auch die chronischen Krankheiten differenziert er weiter.

Diese Systematik erstellt Hahnemann aufgrund des medizinischen Kenntnisstandes seiner Zeit. Dabei nehmen Infektionskrankheiten eine wichtige Position ein.

Diese Krankheitssystematik diente Hahnemann als theoretischer Hintergrund, um Besonderheiten im therapeutischen Vorgehen zu begründen. Die Systematik der Krankheiten war somit nie Selbstzweck, sondern immer auf das Ziel sicheren und nachvollziehbaren therapeutischen Handelns ausgerichtet. Aussagen Hahnemanns in diesem Zusammenhang geben bis heute reichlich Anlass zur Diskussion. Mannigfache Weiterentwicklungen haben mit den Hahnemann´schen Grundlagen kaum noch Gemeinsamkeiten.

Fazit

Zweifellos war Samuel Hahnemann ein bedeutender Wissenschaftler und Mediziner seiner Zeit. Mittels seines umfassenden Wissens, seines Forschens und seiner genialen Schlussfolgerungen hat er eine Heilmethode begründet, die auf der exakten Verordnung von Arzneimitteln nach dem Ähnlichkeitsprinzip beruht – die Homöopathie. Heute, 200 Jahre nach ihrer Begründung, wird die Homöopathie noch immer sehr kontrovers diskutiert. Dies hat dazu geführt, dass auch Hahnemanns Wirken auf den anderen wissenschaftlichen Gebieten bis heute übersehen wird.

Literatur

[1]       Dinges, M.: Hahnemanns Homöopathie: Nur ein „Kind“ ihrer Zeit?, HZ I/05; 26-31

[2]       Hahnemann, S.: Apothekerlexikon Unveränd. Nachdr. d. Erstausg. Leipzig 1793, 3. Nachdr. Heidelberg: Haug, 1986

[3]       Hahnemann, S.: Organon der Heilkunst, Textkritische Ausgabe der sechsten Auflage, Heidelberg: Haug, 1999

[4]       Hahnemann, S.: Die chronischen Krankheiten: ihre eigentümliche Natur und homöopathische Heilung,  Unveränd. Nachdr. der Ausg. letzter Hand, Heidelberg: Haug, 1835 - 1991

[5]       Schmidt, J.: Taschenatlas Homöopathie in Wort und Bild, Heidelberg: Haug 2001

[6]       Schmidt, J. und Kaiser, D. Hrsg.: Samuel Hahnemann: Gesammelte kleine Schriften, Heidelberg: Haug, 2001


Zu den Abbildungen

Abb. 1: pdf-Dokument zu den Apothekerzeichen - bitte hier klicken.

Abb. 2: Zeittafel zum Leben Hahnemanns - bitte hier klicken.


Die Autoren

Helga Häusler, Bismarckstraße  64, 70197 Stuttgart, (Vorstandsmitglied der DGKH)
und
Roger Rissel, Friedrich-Naumann-Straße 24, 55131 Mainz, (Vorstandsmitglied der DGKH)



Veröffentlicht in "Naturheilpraxis", Pflaumverlag München, Februar 2006
© (außer angeführte Zitate) Helga Häusler und Roger Rissel

www.hhaeusler.de


Fenster schließen